Ausstellung im Kunstpanorama in Luzern
im November 2007
Aufbau und Vernissage
BLICK-Titelgeschichten
Laudatio von Fridolin Luchsinger
Lieber Seppi, liebe Frau Ritler
Sehr geehrte Damen und Herren
Es geht heute um einen einen bescheidenen Journalisten mit einem unspektakulären Lebenslauf. Ich fühle mich dazu berufen zu erklären, warum er trotzdem gefeiert wird. Schliesslich war ich zehn Jahre lang sein Chef und das erst noch zweimal in den 70er und den 90er Jahren.
Als ich Ende 1968 zum ersten Mal zum BLICK kam, war Seppi Ritler bereits da – er hatte bei der damals höchst umstrittenen Zeitung schon 1963 als Innerschweizer Reporter angeheuert. Er war durch das Stahlbad der Pionierzeit gegangen, als der Bundesrat den BLICK am liebsten verboten hätte, Jungsozialisten und andere Gutmenschen die Zeitung vor dem Bundeshaus verbrannten und die Reporter auf dem Lande mit Attacken von Mistgabelbewehrten Bauern rechnen mussten.
Als ich 1978 als Chefredaktor zum SonntagsBlick wechselte, feierte Ritler schon sein 15-Jahrjubiläum, immer noch als Reporter mit Sitz in Luzern. BLICK war die grösste Tageszeitung geworden und hatte mit dem SonntagsBlick ein Schwesterchen bekommen, das bald so kräftig wurde wie der ältere Bruder.
Als ich 1989 wieder als Chefredaktor zurück kam, berichtete Seppi immer noch da aus der Innerschweiz, hatte 1983 sein 20jähriges gefeiert, und während zweiten Chefredaktorperiode stiessen wir dann mit ihm schon auf 30 BLICK-Jahre in Luzern an.
Als ich 1997 dem BLICK endgültig Adieu sagte, blieb Seppi noch ein paar Jahre. In Luzern. Für den BLICK. Er wäre gerne über das 40. Jahr hinaus geblieben, aber sein damaliger Chefredaktor, der zwölfte in seiner Karriere, hatte kein Musikgehör. Er schickte Seppi mit 64 in die Pension. Ein Fehler war das, und nicht der einzige. Für Seppi aber war der Entscheid eine neue Chance.
Als ich diesen Sommer Seppi an der Premiere des Einsiedler Welttheaters traf, traf ich den mir bekannten engagierten Reporter. Es war eigentlich wie immer: Er mittendrin, auf der Jagd nach prominenten Premierengästen, Zitate einsammelnd und fröhlich wie eh und je. Geändert hatte sich nur eines: Statt der Fotokamera hielt er nun eine Fernsehkamera in der Hand. Seppi war Witschei bei Tele Tell geworden. Er hatte aus der vorzeitigen Pensionierung, die er als Rauswurf verstand, in bester Ritlerscher Lust-Laune-Trotz-Manier das Beste gemacht – und kann heute über seine unfreiwillige Verabschiedung beim BLICK nur noch milde lächeln.
Das Happy-end einer scheinbar unspektakulären Karriere. Was verraten uns denn die vorher geschilderten Lebenslaufdaten?
Da ist ein treuer Mitarbeiter, einer mit Sitzleder, der 40 Jahre am gleichen Ort den gleichen Job machte.
Dieser MA hat offenbar ein dickes Fell und gute Nerven, sonst hätte er nicht 40 Jahre beim BLICK bei bester geistiger und körperlicher Gesundheit überlebt, sondern wäre wie andere bedauernswerte Kollegen vielleicht in der Trinkerheilanstalt, in der Psychi oder im besten Fall bei einer verschlafenen Regionalzeitung gelandet.
Er war ein guter Reporter und hatte elf von zwölf BLICK-Chefs davon überzeugt, dass er seinen Innerschweizer Job gut machte.
Aber wäre dieser Lebenslauf schon eine Feier wert?
Ein treuer Mitarbeiter ist manchmal auch nur einer, der lange bleibt – stehen bleibt, meine ich. Ein dickes Fell schützt nicht nur vor faulen Tomaten und ungerechtfertigter Schelte – darunter verdorrt nicht selten auch die in unserem Beruf notwendige Sensibilität. Und dass ihn elf von zwölf BLICK-Chefs behielten, könnte ja auch damit zu tun haben, dass zu gewissen Zeiten die BLICK-Chefs abtreten mussten, bevor sie alle Mitarbeiter auch nur beim Namen kannten. Immerhin ist seit anfangs dieses Monats bereits die Nummer 14 am Werk...wenn ich richtig gezählt habe!
Seppi war eben mehr als nur treu, nervenstark und fleissig. Seppi gehört zu einer aussterbenden Gattung im journalistischen Tierreich: Er hat das Gedächtnis eines Elefanten, die Schläue des Fuchses, die Neugier der Katze, den Fleiss der Ameise und die Sturheit eines Esels. Das ist heute in einer Medienwelt, wo es bald nur noch Wiederkäuer, Krokodile, Brüllaffen, Papageien und Faultiere gibt, eine Seltenheit.
Ritler war auch mehr als nur ein regionaler Korrepsondent. Er hockte da in Luzern wie die Spinne im Netz, und das Netz spannte sich über die halbe Schweiz. Und manchmal darüber hinaus. Ritler hat den frühen Slogan seiner Zeitung, BLICK ist dabei, verinnerlicht. Er war wirklich dabei – meistens als erster auf dem Platz.
Ritlers Berufsauffassung, seine Leidenschaft und seine Vielseitigkeit machten ihn zum Vorbild für alle Jungen. Und unverzichtbar für das Blatt. Dazu nur drei Beispiele.
Da wäre mal der Menschenfreund. Er hat in 40 Jahren ein einmaliges Beziehungsnetz geschaffen, von dem seine Auftraggeber bis heute profitieren. Das ist nur möglich, wenn man Menschen gern hat und neugierig auf sie ist. Und dieses Netz hält nur, wenn der Journalist fair ist, korrekt, gut informiert und höflich, ja höflich. Ritler hat über Bundesräte, Wirtschaftsführer, Sportstars, Schauspieler berichtet – über Polizisten, Opfer von Unfällen und Verbrechen, über Bergbauern und Hausierer.
In meinen zehn Jahren als Chefredaktor des BLICK hat sich keiner, über den Seppi schrieb, jemals bei mir beklagt, er sei von Ritler unfair behandelt worden. Von Politikern, Behörden, Prominenten bekam und bekommt Seppi immer wieder Auskunft, weil er in seiner journalistischen Arbeit nie verbrannte Erde zurück liess.
Da wäre zweitens der Regisseur Ritler. Ritler war einer der ersten, der beim Fotografieren zum Mittel der Inszenierung griff. Damit ist nicht Manipulation gemeint, die ja mit dem Einzug der Digitalisierung der Fotografie immer einfacher und verführerischer wurde. Wenn Ritler den Auftrag hatte, über militärische Manöver, über ein Trachtenfest oder
über die Einweihung einer neuen Brücke zu berichten, also über vorhersehbare, planbare Ereignisse, machte er sich lange vorher Gedanken, wie er alle und alles ins rechte Bild rücken konnte. Oft reiste er vorher zum Schauplatz und klärte ab, wo die besten Standorte zum Fotografieren sein könnten. Oft war das dort, wo die andern Fotografen nicht mehr hinkamen. Er wollte nicht einfach knipsen, sondern gestalten, Regie führen, immer im Interesse der Sache, der beteiligten Personen und der Zeitung.
Da scheute er sich auch nicht, den EMD-Chef bei einem Treffen mit Militärattachés und Generälen in Andermatt freundlich aber bestimmt aufzufordern, die Schar der plappernden Gäste jetzt kurz mal vor den besten Hintergrund zu dirigieren, natürlich jenen, den er vorher rekognosziert hatte. Er wollte einfach immer das Beste – für die Zeitung, aber auch für die Menschen, die er ablichtete. Das spürten seine Partner auf der andern Seite der Kameralinse und vertrauten ihm.
Da wäre, drittens der Ritler, der für seine Stories kämpfte. Eben stur wie ein Esel – was ja nicht beleidigend gemeint ist, sondern als Kompliment. Esel sind schliesslich kluge und liebenswerte Tiere. Ritler war es nie egal, ob und wie seine Geschichten ins Blatt gerückt wurden. Da konnte es schon passieren, dass er am Abend noch in der Redaktion in Zürich auftauchte, um die Auswahl und die Legenden seiner Bilder zu kontrollieren. Und wehe, wenn der Chefredaktor mal eine seiner Geschichten nicht «einkaufte» wie man im Jargon sagt, oder nur eine Meldung daraus machte! Da konnte er ganz schön beleidigt sein. Nachdem er den Hörer auf die Gabel geknallt hatte, stiess er wahrscheinlich ein paar deftige Flüche auf Walliserdeutsch aus «Die hüere Üsserschwyer» oder so etwas in dieser Art...
Ich kann ohne Übertreibung und objektiv hier feststellen, dass Seppi Ritler nicht nur einer der besten, sondern auch der erfolgreichste BLICK-Reporter aller Zeiten war. Keiner war so lang dabei mit so viel Begeisterung dabei. Keiner hat mehr Artikel für diese Zeitung und Fotos geschossen als er. Er hat viel zum Erfolg dieser Zeitung beigetragen. Und er ist der einzige, der für seine Arbeit mehrfach ausgezeichnet worden ist: 1997 mit dem Swiss Presse-Foto-Preis, 2003 mit dem Ringier Medienpreis und heute mit dem Lifetime Award der Schweizer Berufsfotografen.
Man könnte neidisch werden...neidisch auf die wirklich spektakuläre Karriere eines Journalisten und Fotografen, der nie mehr sein wollte als ein guter Reporter in der Innerschweiz. Bevor ich Ritler kennen lernte, wusste ich gar nicht, dass es auch bescheidene Walliser gibt...
Eine Würdigung der Karriere von Seppi Ritler wäre unvollständig, ohne dabei die Arbeit und Unterstützung seiner Frau zu würdigen. Sie war Hausfrau, Mutter, Sekretärin, Telefonistin, Archivarin. Drehscheibe und vieles mehr. Was sage ich da war? Sie ist es noch immer, vielleicht in etwas reduziertem Umfang. Ritler zu Hause hinter dem Ofen oder vor dem Fernseher kann ich mir gar nicht vorstellen – und sie vielleicht auch nicht.
Da fällt mir grad ein: Wahrscheinlich habe ich mich bei Ihnen, liebe Frau Ritler. nie bedankt, als ich noch BLICK-Chef war. Das möchte ich jetzt in aller Form und sozusagen öffentlich nachholen, liebe Frau Ritler. Haben Sie herzlichen Dank. Ohne Ihren unermüdlichen Einsatz wäre das Gesamtkunstwerk Seppi Ritler nie entstanden. Ohne ihre Mitarbeit wären wir jetzt nicht hier und würden Seppi feiern. Wenn ich zum Abschluss Seppi meine Gratulation entbiete, gratuliere ich auch Ihnen.
Herzlichen Dank.